Kindliche Freude
Süddeutsche Zeitung - 24.04.2022
Eingemottet sind Daunenjacke und Kaschmirschal, vom Eise befreit sind Strom und Bäche sogar im Oberland, und das heißt: In Icking wird wieder Kammermusik gemacht. Heuer steht das Streichquartett-Festival "Ickinger Frühling" im Zeichen weiblichen Musizierens, nachdem auch dieses Vorhaben, wie so viele, zwei Jahre in der Schublade lag. Den Auftakt macht das Klenke Quartett. Ein erfahreneres, vielseitigeres Quartett hätte sich dafür kaum finden lassen. Mit schlichter Souveränität machen die vier Frauen aus Weimar ein immerhin zu zwei Dritteln von Frauen komponiertes Programm zum Ereignis.
Das ist keine Selbstverständlichkeit, denn das g-Moll-Quartett der Carl-Loewe-Schülerin Emilie Mayer ist kein einfaches Stück. Viele melodische Partikel kommen in kurzer Zeit zusammen, die meisten davon sind nicht eben eingängig. Allein, hier überzeugt Mayers Opus 14, weil das Klenke Quartett mit ruhiger Hand formt, mit Weitblick und Sorgfalt ein lichtes Klanggewebe wirkt, das nur an wenigen Stellen trocken und allzu planvoll erscheint. Von naiver Frömmigkeit ist die Stelle im langsamen Satz, wenn zur Choralmelodie "Wer nur den lieben Gott lässt walten" das Cello beiläufige Pizzicati einstreut. Schöner, inniger lässt sich das nicht spielen.
Seit mehr als 30 Jahren perfektionieren Annegret Klenke und ihre Mitspielerinnen eine Quartettkultur unaufdringlicher Professionalität. Nicht ohne Grund wurde die große, als Jüdin 1936 aus Deutschland in die USA emigrierte Komponistin Ursula Mamlok, zur Freundin der vier Musikerinnen, die sie ihre "Kinder" nannte. Und mit geradezu kindlicher Freude entdeckt das Quartett in Mamloks zweitem Streichquartett, einem frei zwölftönigen Werk, schimmernde Strukturen und die Sehnsucht nach Melodie. Feinsinnig wird all das präsentiert, rhythmisch prägnant, doch nie eckig. Ebenso Ravels F-Dur-Quartett. Nie schmachtend, nur expressiv und nach Moderne duftend. Das Klenke Quartett ist an den Zwischentönen interessiert, was das laut Bravi austeilende Publikum offenkundig begeistert.
Paul Schäufele, Süddeutsche Zeitung 24.04.2022