Jeder Ton ist Atem
Junge Welt 30.09.2022
Jeder Ton ist Atem
Mozart: Das Spiel des Hornisten Stephan Katte erschafft barocke Himmelsbilder von kunstvoll unklarer Schärfe
Neben der Menschenstimme und der Flöte steht das Horn am urgeschichtlichen Anfang aller Musikinstrumente. Es dauerte lange, bis es im Barock über den Dienstleistungsbereich der Jagd in den der Hofmusik gelangte und ihm schließlich sogar solistische Prominenz zukam.
Haydn bedachte es mit mehreren Werken, Beethoven komponierte eine eigene Sonate fürs Horn, er ließ es später die berühmte Arie der Titelfigur seiner einzigen Oper begleiten. Mozart, wenn er nicht für sich selbst komponierte, wählte die Soloinstrumente seiner Konzerte nach den Virtuosen seines großen Freundeskreises. [...]
Das Hornquintett wäre nicht entstanden ohne Mozarts lustige Beziehung zu Joseph Leutgeb, dem führenden Hornvirtuosen der Wiener Mozartzeit.
Die vier Streicherinnen aus Weimar demonstrieren auf der Neuerscheinung einmal mehr, wie großartig historisch informiertes Musizieren auch auf modernden Instrumenten funktioniert, erst recht natürlich, wenn sie, wie in diesem Fall, derart glücklich gehandhabt werden. [...]
Der Hornist Stephan Katte spielt das Hornquintett auf einer von ihm selbst gebauten Kopie eines aus der Mozartzeit herüberklingenden ventillosen Horns des älteren Anton Kerner. In seinem Spiel ist jeder Ton Atem, seine Lippen zwingen die Luftsäule im Inneren des Horns in dessen Naturtonreihe; derweil sorgt Kattes Hand im Schalltrichter mit der kurz vor der Mozart-Zeit erfundenen Stopftechnik für bis in chromatische Nuancen reichende Abstufungen. [...]
Der naturhafte Ton des ventillosen Horns passt sich dem Streichersatz klanglich und formal ungezwungen gerade in K.407 besonders gut an. Die konzertant imitatorischen Dialoge zwischen Horn und Streichern im ersten Satz klingen, als hätte ein sich selbst als zweiter Bratschist statt der zweiten Geige (Beate Hartmann) in die Noten hineinkomponiert habender Mozart sich und Freund Leutgeb die Vorlage liefern wollen für augenzwinkernde Dialoge launiger Hausmusik. Im Andante zeigt Katte, dass er auf dem Horn fließend und besonders schön singen kann. Auch kniffelige Stellen wie den Sprung über zwei Oktaven (ein-bis dreigestrichenes c) im Takt 60 f. meistert er mühelos.
Der Finalsatz erinnert in seiner munteren Aufgeräumtheit an die Schlussrondos der vier Hornkonzerte Mozarts. Auch hier das konzertante Hin und Her zwischen dem Solisten und dem Vierer-Tutti. Kompositorische Mühe bemerkt man in Mozarts Musik allenfalls, als die Partituren des alten Bach ihm spät im Leben begegnen. In den mittleren Jahren aber, der Zeit des „Figaro“, der Klavierkonzerte und auch des Hornquintetts, lief alles bestens, die Musik klingt wie zum Spaß hingeschrieben. Die Klenkes und Stephan Katte lassen das hören. Just so.
Stefan Siegert
Junge Welt 30.09.2022